Opferhilfe

Amnesty International ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich auf Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unter anderem gegen schwerwiegende Verletzungen der Rechte eines jeden Menschen auf Meinungsfreiheit, auf Freiheit von Diskriminierung sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit wendet.

Wir sind an jeder Information über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland interessiert. Unser Ziel ist es, Fälle von Misshandlungen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch deutsche Polizeibeamte und -beamtinnen zu dokumentieren, auf die strukturellen Hintergründe dieser Praktiken aufmerksam zu machen und geeignete Maßnahmen durchzusetzen, mit denen Polizeiübergriffe verhindert und Verantwortliche strafrechtlich verfolgt werden können.

Wir führen zurzeit nur ein Monitoring durch. Leider können wir den Opfern von Polizeigewalt keine Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen leisten. Auch sind wir nicht in der Lage, Gerichtsurteile zu überprüfen. Hierfür bitten wir Sie um Verständnis und empfehlen Ihnen, sich an einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin zu wenden.

Wenn Sie dennoch gern Ihren Fall Amnesty melden möchten, bitten wir Sie die folgenden Hinweise sorgfältig zu lesen und alle wesentlichen Informationen an uns zu senden.

Das Opfermerkblatt gibt es hier zum Herunterladen und Ausdrucken:

 

Opfermerkblatt 

Sie sind Opfer einer Misshandlung durch Polizeibeamte oder eines polizeilichen Übergriffes geworden?

Was können Sie tun, was sollten Sie tun?

1. Ganz wichtig: Sofort alles aufschreiben oder anderweitig dokumentieren!

Schreiben Sie sich alles auf, was mit dem Vorfall zusammenhängt: Wann und wo geschah es? Wie kam es dazu? Was haben Sie zu diesem Zeitpunkt gemacht? Was genau wurde mit Ihnen gemacht?

Notieren Sie Namen und Anschriften von Personen, die das Geschehen gesehen haben oder haben könnten (Zeug*innen). Machen Sie möglichst genaue Angaben zur Person, Beschreibung aller Details von Größe, Aussehen, Kleidung, Haltung, Sprache, gesprochenen Anweisungen oder sonstigen Formulierungen.

Schreiben Sie die Namen der Polizist*innen auf, die beteiligt waren sowie deren Dienststellen.

Wenn Sie die Namen nicht wissen: Was fiel Ihnen an den Polizist*innen auf? Uniform, Zivil? Farbe der Uniform? Welche und wie viele „Sterne“ oder „Streifen“ auf den Schultern – es gibt blaue, silberne und goldene und es können jeweils zwischen einem und fünf sein.

War es ein Polizist oder eine Polizistin? Wie alt war er/sie etwa? Auffälligkeiten wie Frisur, Größe, Sprache, etc.

Wenn ein  Polizeifahrzeug  dabei  war:  Welches  Modell,  welche  Farbe,  ggf.  Kennzeichen?  Wie  viele Polizisten waren insgesamt beteiligt? Haben die Polizist*innen während des Vorfalls über Funk mit der Zentrale Kontakt aufgenommen? Wenn ja, was wurde besprochen?

Wenn Sie einen rassistisch motivierten Übergriff vermuten, schreiben Sie möglichst detailliert auf, wie Sie zu dieser Einschätzung kommen.

2. Ärztliches Attest?

Wenn Sie verletzt wurden, gehen Sie sofort zu einer Ärzt*in (am besten zu Ihrem Hausarzt), berichten Sie der Ärzt*in von dem Vorfall und lassen Sie sich eine Bescheinigung (ein „Attest“) über Ihre Verletzungen geben.  Wenn  möglich,  lassen  Sie  Fotografien  von der  Ärzt*in  oder  einer  Anwält*in  anfertigen. Per Maßband o.ä. sollte die Größe der Verletzung(en) dokumentiert sein.

3. Strafanzeige gegen Sie?

Wurde gegen Sie Anzeige erstattet? Wenn ja, weshalb (Widerstand, Körperverletzung)? Oder haben die Polizeibeamten eine Anzeige angedroht? Wurden Ihre Personalien festgestellt? Wurden Sie belehrt?

Jeder Vorgang erhält bei der Staatsanwaltschaft ein Aktenzeichen. Registriert wird auch das jeweilige Eingangsdatum der Strafanzeige. Wurde gegen Sie eine Strafanzeige erstattet oder haben Sie selbst eine Strafanzeige gestellt   (siehe Ziffer 4), kennen Sie die Aktenzeichen? Wenn nicht: Versuchen Sie die Aktenzeichen bei der für den Vorfall zuständigen Staatsanwaltschaft oder Polizeidienstelle zu erfragen. Für den Rechtsanwalt ist das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft wichtig.

Wurden  Sie  vor  Ihrer  ersten  Vernehmung  ordnungsgemäß  belehrt  und  durften  Sie  vor  der  ersten Vernehmung ungestört mit einem Rechtsbeistand telefonieren bzw. er/sie zu Ihnen kommen? Als eine beschuldigte Person müssen Sie nur Ihre Personalien angeben – sonst nichts!

4. Strafanzeige gegen die Beamten?

Bevor Sie selbst Anzeige erstatten: Dies sollte gut überlegt sein, vor allem, wenn (noch) keine Anzeige gegen Sie erstattet wurde und es sich um einen eher leichten Übergriff ohne (nachweisbare) Folgen gehandelt  hat.  Sie  haben  zwar  das  Recht  eine  solche Anzeige zu  erstatten;  oftmals reagieren die Polizeibeamten aber auf Ihre Anzeige mit einer Gegenanzeige, die sie ansonsten vielleicht unterlassen hätten. Im Zweifel hierzu eine Anwält*in fragen (siehe auch Ziffer 5).

Wenn   Sie   eine   Anzeige   erstatten   wollen,   tun   Sie   das   nach   Möglichkeit   nicht   bei   einer Polizeidienststelle. Sie sollten die Anzeige online per Internetwache oder schriftlich bei der Staatsanwaltschaft erstatten (Adresse im Telefonbuch oder beim nächsten Amtsgericht erfragen) und dabei ihre Personalien und telefonische Erreichbarkeit  angeben.  Die  Strafanzeige  selbst  ist  an  keine  Form  gebunden.  Eine  ausführliche Sachverhaltsdarstellung ist ausreichend. Sie müssen keinen Beweis für die Richtigkeit Ihrer Darstellung liefern. Ihre Aussage ist Beweis. Zur Beurteilung der Sache wird die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ eigene weitere Ermittlungen durchführen lassen.

Fügen Sie der Strafanzeige ggf. eine Kopie des Attestes bei und wenn Sie können, benennen Sie in der Strafanzeige mögliche Zeug*innen des Vorfalls. Zeug*innen sind vor Gericht zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet.

5. Anwalt einschalten?

Überlegen Sie, ob Sie eine Rechtsanwält*in einschalten. Namen und Adressen von Anwält*innen, die sich auf  solche  Verfahren  spezialisiert  haben,  erhalten  Sie  über  die  Deutsche  Anwalts-Auskunft  (Tel.01805-181805) oder im Internet. Bitte suchen Sie nach Anwält*innen, die sich auf Strafrecht und/oder Verwaltungsrecht spezialisiert haben.

Die Kosten für die Anwält*in müssen Sie meist erst einmal selbst tragen, ggf. kann Beratungs- und später Prozesskostenhilfe beantragt werden, wenn Sie nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Den Antrag auf Beratungshilfe können Sie beim zuständigen Amtsgericht oder auch bei der Anwält*in selbst stellen (dies  ist  aber  in  den  Bundesländern  unterschiedlich  geregelt!).  Nähere  Informationen dazu finden Sie in einem Ratgeber des Justizministeriums NRW, der ebenfalls über das Internet abrufbar ist.

Übrigens: Rechtsschutzversicherungen zahlen meist nicht, wenn gegen Sie selbst der Vorwurf eines „Vorsatzdeliktes“ – z. B. „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder „Körperverletzung“  im Raum steht.

6. Vorladung?

Wenn Sie von der Polizei vorgeladen werden, müssen Sie einer solchen Vorladung nicht folgen. Nur eine Vorladung vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft beinhaltet eine Erscheinungspflicht. Allerdings kann es sinnvoll sein, der Vorladung der Polizei zu folgen, um den Tatvorwurf konkret zu erfahren. Auch wenn Sie der Vorladung folgen, müssen Sie die Fragen der Polizei nicht beantworten. Sie sind jedoch verpflichtet, Ihren Namen und Ihre Adresse anzugeben.

7. Dienstaufsichtsbeschwerde?

Neben einer Strafanzeige können Sie auch eine sog. Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizeibeamt*innen einreichen. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist nur gegen eine (oder mehrere) Person(en) möglich. Sie führt dazu, dass der Vorgesetzte oder bestimmte Abteilungen in der Polizei (die nicht identisch sind mit den Beamt*innen, denen ein Verstoß vorgeworfen wird) den Sachverhalt prüfen. Dies erfolgt in der Regel aber erst, wenn ein in diesem Zusammenhang stehendes Strafverfahren (gegen Sie oder gegen die Polizeibeamt*in) abgeschlossen ist.

Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist an den Dienstvorgesetzten zu richten, d.h. im Zweifel an die/den Polizeipräsident*in. Die/der muss einer Dienstaufsichtsbeschwerde immer nachgehen. Ergeben die internen Ermittlungen, dass Polizeibeamt*innen gegen Straf- oder Dienstvorschriften verstoßen haben, werden gegen den oder die Beamten disziplinarrechtliche Maßnahmen ergriffen oder ein Strafverfahren eingeleitet.

Sie haben als sog. „Beschwerdeführer“ einen Anspruch auf die Bearbeitung der Beschwerde. Der Vorgesetzte hat zu prüfen, ob das Vorgehen bzw. Verhalten eines Beamten dienstrechtlich zu beanstanden ist oder nicht. Ihre Beschwerde muss von dem Vorgesetzten beantwortet werden. Der Ausgang der Untersuchung ist Ihnen – allerdings ohne nähere Begründung – mitzuteilen.

Mögliche disziplinarrechtliche Maßnahmen können Verweise, Geldbußen bis hin zu Gehaltskürzungen, Nicht-Beförderungen und sogar Entlassung aus dem Dienst sein. Betroffene Beamte können auch an eine andere Dienststelle versetzt werden.

Sollten Sie parallel eine Strafanzeige erstattet haben, dann weisen Sie in ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde darauf hin, ggf. unter Angabe des Aktenzeichens.

8. Informationen an Amnesty International?

Sie können auch Amnesty International über den Vorfall informieren (unabhängig davon, ob Sie eine Strafanzeige erstattet haben oder nicht). Das ist per Email oder Brief möglich. Wir werden uns mit Ihnen in Verbindung setzen und den Eingang Ihrer Informationen bestätigen. Bitte schicken Sie Ihre Informationen an folgende Adresse:

Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte
Amnesty International
Zinnowitzer Str. 8
10115 Berlin
Vermerken Sie auch in Ihrer Strafanzeige und in Ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde, dass Sie Amnesty International über den Vorfall informiert haben. Informieren Sie uns über den späteren Ausgang des Verfahrens.

9. Was macht Amnesty International mit Ihren Informationen?

Amnesty-Mitglieder in Deutschland werden grundsätzlich nicht selbst aktiv, um einen Fall in Deutschland zu recherchieren und zu betreuen. Hintergrund dieser Politik ist die Tatsache, dass der weltweit geltende Grundsatz von Amnesty International „Keine Arbeit zum eigenen Land“ für viele Amnesty-Mitglieder in einem Land mit einem totalitären Regime wichtigen Schutz bedeutet.

Für jeden Grundsatz gibt es eine Ausnahme. Einzelne Fälle gravierender polizeilicher Übergriffe wurden von einer Fachkommission der deutschen Sektion recherchiert. Die Ergebnisse der genauen Untersuchung eines polizeilichen Übergriffes können Eingang in öffentliche Berichte von Amnesty International nehmen. So zum Beispiel in dem Bericht „Täter unbekannt- mangelhafte Aufklärung von mutmaßlicher Misshandlung durch die Polizei in Deutschland“. Die exemplarische, öffentliche Darstellung hilft, unseren Forderungen zur Minimierung ungesetzlicher Polizeigewalt Nachdruck zu verleihen. Diese Einzelfallrecherche und damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit findet nur in direkter Absprache und mit Einverständnis des Betroffenen statt.

Nur in diesen Ausnahmefällen haben Amnesty-Vertreter bei den verantwortlichen Behörden und Regierungsstellen nachgefragt und die für die Misshandlungen verantwortlichen Beamten und Dienststellen aufgefordert, Stellung zu nehmen und die Rechtmäßigkeit des Handelns darzulegen. Zeugenbefragungen, das Anfordern von ärztlichen Attesten über Verletzungen der Opfer oder auch das Verfolgen von Gerichtsverfahren gegen die polizeilichen Täter*innen können die Folge sein.

Amnesty hat die Einzelfallrecherche zum Thema Polizeigewalt in Deutschland eingestellt und führt nur noch ein Monitoring durch. Wir sammeln und dokumentieren Informationen über rechtswidrige Polizeigewalt in Deutschland, um einen Überblick über das Ausmaß polizeilicher Übergriffe in der Bundesrepublik zu erhalten. Wir hoffen zudem, anhand der anonymisierten Dokumentation bestimmte Muster von Menschenrechtsverletzungen erkennen zu können. Beides hilft uns in der politischen Auseinandersetzung zur Umsetzung unserer Forderungen, z. B. der Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungs- oder Beschwerdemechanismus bei polizeilichen Übergriffen.

In jedem Fall werden Ihre Hinweise also ernst genommen und weiter verfolgt.

10. Persönliche Beratung?

Ein persönliches Beratungsgespräch von Amnesty-Mitgliedern können Sie nur von der Themenkoordinationsgruppe „Polizei und Menschenrechte“ erhalten. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder dieser Gruppe sind häufig selbst Polizeibeamte, die sich aktiv gegen Misshandlungen durch Polizeibeamte engagieren und deshalb besonders kompetenten Rat geben können.

Wenn Sie ein persönliches Gespräch mit einem Mitglied dieser Gruppe führen möchten, dann nehmen Sie Kontakt mit uns auf.

Wenn Sie weitergehende persönliche und/oder psychologische Beratung benötigen, stehen in allen größeren Städten entsprechende Hilfsorganisationen zur Verfügung. Hinweise dazu können Ihnen z.B. die Caritas, das Diakonische Werk oder andere soziale Organisationen geben. Auch auf der Homepage Ihrer Heimatstadt oder Ihrer Gemeinde finden Sie oftmals entsprechende Hinweise auf Beratungsstellen. Die Organisation Victim.Veto hat es sich zum Ziel gesetzt, Opfer von Polizeigewalt zu unterstützen. Alle Informationen finden Sie unter www.victim-veto.org

11. Asyl- und ausländerrechtliche Folgen einer Strafanzeige

Wenn Sie als Geflüchtete*r bzw. Asylsuchende*r Opfer eines polizeilichen Übergriffs wurden, und dies zur Anzeige bringen bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen wollen, so darf der Umstand, dass Sie Anzeige oder Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen, grundsätzlich keine negativen Auswirkungen auf Ihr Asylverfahren haben.

Jedoch sind in diesem Fall besonders die Ausführungen unter Punkt 4 zu beachten. Sollte die Polizei aufgrund Ihrer Anzeige eine Gegenanzeige gegen Sie stellen, und dieses Verfahren staatsanwaltlich und gerichtlich verfolgt werden – was in aller Regel der Fall ist – und Sie zum Beispiel wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt werden, kann diese Verurteilung negative Auswirkungen für Ihren weiteren Verbleib in der Bundesrepublik haben; etwa wenn es um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen von Härtefall- oder Bleiberechtsregelungen geht.

In ganz seltenen Fällen könnte Ihnen, sofern Sie noch nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind, gem. § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn erhebliche öffentliche Interessen Ihre vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, d.h. also Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht für die Verfolgung Ihrer Anzeige es für sachgerecht halten, dass Sie z.B. als Zeuge/Zeugin auftreten. Hierzu müssen Sie Ihre Bereitschaft erklärt haben, im Strafverfahren gegen die betreffenden Polizeibeamt*Innen als Zeuge/Zeugin auch auszusagen.