Amnesty International in Deutschland fordert: Rechtsstaat stärken! Ausweitung der individuellen Kennzeichnungspflicht für die Polizei statt Abschaffung!
Die aktuelle Kampagne der beiden größten deutschen Polizeigewerkschaften, zur Abschaffung der individuellen Kennzeichnungspflicht für die Polizei, zeugt von einem fehlenden Verständnis für rechtsstaatliche Prinzipien, und widerspricht den bisher gemachten Erfahrungen.
So hat erst im letzten Jahr der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Bundesrepublik Deutschland in einem Urteil für das Fehlen einer individuellen Kennzeichnungspflicht bei der Polizei gerügt, und in dem Urteil ausgeführt, dass es durch eine fehlende individuelle Kennzeichnung, die Gefahr einer ausbleibenden Strafverfolgung gegenüber Polizist_innen sieht.1
Kern eines demokratischen Rechtsstaats ist aber, dass staatliches Handeln gerichtlich überprüfbar ist. In Deutschland müssen regelmäßig Ermittlungen gegen Polizist_innen eingestellt werden, weil die mutmaßlichen Täter_innen nicht identifiziert werden konnten, so wie beispielsweise 2014 in Mecklenburg-Vorpommern2, oder in den Verfahren gegen eingesetzte Beamt_innen während des sogenannten schwarzen Donnerstags im Rahmen der Proteste gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart21, im Jahr 20103.
„Der Vorwurf des Generalverdachts zeugt von einem mangelnden Verständnis von Rechtsstaatlichkeit bei den genannten Polizeigewerkschaften, sowie den Polizeibeamt_innen, die diese Forderung unterstützen“, so Alexander Bosch von Amnesty International.
Ob die durch die Polizeigewerkschaften ins Feld geführten Vorfälle wirklich im Zusammenhang mit der individuellen Kennzeichnung stehen, erscheint zweifelhaft, da der Berliner Senat noch am 04. April 2017 auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet hat, dass „dem Senat keine Fälle bekannt sind, wo aufgrund der individuellen Kennzeichnungspflicht Polizist_innen Nachteile erwachsen sind“.
Auch lägen dem Senat „keine empirischen Erkenntnisse über sonstige negative Auswirkungen der individuellen Kennzeichnungspflicht vor“.4 Dies deckt sich mit den gemachten Erfahrungen in Brandenburg sowie den Untersuchungen von Birgit Thinnes (2014)5 und Lena Lehmann (2015)6, die auch auf keine Gefährdungen im Zusammenhang mit der individuellen Kennzeichnungspflicht in Deutschland gestoßen sind.
Amnesty International fordert daher die Politik auf Landes- sowie Bundesebene dazu auf, den Rechtsstaat zu stärken und die individuelle Kennzeichnungspflicht flächendeckend einzuführen, vorzugsweise in Form eines Gesetzes.
1 https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22languageisocode%22:[%22ENG%22],%22documentcollectionid2%22:[%22JUDGMENTS%22],%22itemid%22:[%22001-178381%22]}
2 https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Offenbar-Probleme-bei-Polizei-Kennzeichnung,polizei4898.html
3 https://www.welt.de/regionales/stuttgart/article120874121/Viele-Verfahren-nach-Polizeieinsatz-eingestellt.html
4 https://kleineanfragen.de/berlin/18/10780-individuelle-kennzeichnungspflicht-fuer-polizeibeamt-innen-in-berlin-befuerchtungen-und-wirklichkeit
5 Thinnes, Birgit (2014). Wege aus der Anonymität des Staates: Ein kriminologisch-empirischer Beitrag zur Kennzeichnungspflicht der Polizei. Verlag für Polizeiwissenschaft.
6 Lehmann, Lena (2015). Kennzeichnungspflicht von Polizeibediensteten, in: Frevel, Bernhard/. Behr, Raphael (Hg.) Empirische Polizeifor schung XVII: Die kritisierte Polizei, Frankfurt. a.M., 209–230