„Nichteinmischung ist Komplizenschaft“ – Autor Dieter Schenk im Interview

Hier finden Sie ein Interview mit dem Autor Dieter Schenk, dem Autor des Buches „BKA-Polizeihilfe für Folterregime“, welches die SeKo Folter von Amnesty International mit ihm geführt hat.

19. RUNDBRIEF GEGEN DIE FOLTER
SEKTIONSKOORDINATIONSGRUPPE GEGEN DIE FOLTER
01/09 AMNESTY INTERNATIONAL

„NICHTEINMISCHUNG IST KOMPLIZENSCHAFT“:
DER AUTOR DIETER SCHENK IM INTERVIEW

  • In Ihrem Ende 2008 erschienenen Buch „BKA-Polizeihilfe für Folterregime“ schreiben Sie von einer „stillen Komplizenschaft“ des BKA bei der Zusammenarbeit mit Staaten, in denen systematisch gefoltert wird. Wie erklären Sie sich die Ignoranz der Beamten gegenüber solch gravierenden Menschenrechtsverletzungen?

Meines Erachtens ist der schwerwiegendste Grund ausgerechnet die internationale Kollegialität. Zugunsten einer reibungslosen Zusammenarbeit mit ausländischen Beamten werden unangenehme Dinge wie die Menschenrechtssituation unter den Teppich gekehrt. Man zieht sich auf die Position zurück, dass man die Zustände in anderen Ländern weder verursacht hat noch ändern kann. Eigentlich ist eine solche Haltung ungewöhnlich für Polizisten, die ja Straftaten schon von Amts wegen verfolgen sollen. Diese Form der Nichteinmischung ist in meinen Augen Komplizenschaft. Man macht sich mitschuldig, wenn man an Menschenrechtsverletzungen keine Kritik übt, und zugleich bekräftigt man dadurch die Kollegen, die foltern und solche, die ein Outsourcing von Folter tolerieren oder gar nutzen. Hier geht eine kollektive Gleichgültigkeit Hand in Hand mit einer Doppelmoral: Man heißt Folter und Misshandlung zwar für sich selbst nicht gut, praktiziert es auch nicht, aber wenn es andere tun, ist es im Rahmen der guten Beziehungen egal, denn man profitiert ja von den Ergebnissen. Leider ist das der Alltag in der internationalen Verbrechensbekämpfung. Außerdem werden durch BKA und andere Sicherheitsbehörden Folterstaaten potenter gemacht, indem man ihnen  Know-how und Ausrüstung zukommen lässt. Andererseits wird nicht evaluiert, was mit den Mitteln passiert, also ob wirklich eine
Demokratisierung und Verbesserung der Menschenrechtslage eintritt, was nämlich nicht der Fall ist.

  • Ein großes, in Deutschland schon seit längerem diskutiertes Thema ist die Aufweichung des absoluten Folterverbots  zur Gefahrenabwehr. Mittlerweile wird die Debatte subtiler geführt, man billigt Folter nur noch, wenn aus ihr Hinweise entstehen, die zu weiteren polizeilichen Ermittlungen herangezogen werden können, Wie sehen Sie hierbei die Rolle des BKA? Unterstützt man diese Praxis und wenn ja, wie wird diese Logik begründet?

Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung sehe ich eindeutig nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Hier kam es zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Verbindungsbeamten des FBI, der CIA und des BKA, deren Erkenntnisse in verschiedenste Ermittlungen eingespeist wurden, ohne nach der Quelle zu fragen – mitunter waren also auch unlautere Vernehmungsmethoden im Spiel, zum Beispiel solche aus Guantánamo. Inzwischen hat die Bundesregierung festgestellt, dass es im Strafverfahren nicht statthaft ist, solche unter Folter und Misshandlung gewonnen Beweise zu verwenden. Anders sieht es dagegen aus, wenn man im präventiven Bereich ermittelt, so zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden terroristischen Gefahr, auch wenn man die Herkunft der Information angeblich nicht kennt. Nach meiner Erfahrung ist aber in der Regel informell bekannt, wo und wie eine Aussage zustande kam, das ergibt sich aus der engen Kooperation. Selbst wenn also Folter im Spiel war, ist der Inhalt der Aussage weiter verwendbar. Inwiefern diese Linie weiterhin gilt, hängt von der Entwicklung der Sicherheitslage ab. Je angespannter sie sein wird, um so mehr ist eine weitere Aufweichung dieser Praxis zu befürchten.

  • Deutschland hat im Januar vor dem UN-Menschenrechtsrat zur Lage der Menschenrechte Stellung nehmen müssen. Haben Sie mitbekommen, ob in diesem  Zusammenhang auch die Zusammenarbeit deutscher Polizei / Geheimdienste mit Folterstaaten thematisiert wurde? Gibt es eigentlich so etwas wie eine Öffentlichkeit im Hinblick auf Abschiebung in Folterstaaten?

Kritisiert wurde durch Mitglieder des UN-Menschenrechtsrates besonders die Lage der Migranten in Deutschland.
Generell ist dies im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die Frontex-Organisation in Warschau relevant. Da geht es vorrangig um die Abschottung der EU-Außengrenzen gegen illegale Einwanderung, was das Problem meines Erachtens auf unmenschliche Weise verschärft. Nicht unwesentlich beteiligt ist daran allerdings die deutsche Bundespolizei.  Zu Recht wurden Fälle rassistisch motivierter Gewalt gegen Ausländer durch deutsche Polizisten
bemängelt, was vielleicht nicht strukturell zu sehen ist, aber wegen der Mauer des Schweigens nicht aufgeklärt werden kann. Es fehlt an einer neutralen Beschwerdestelle, die deutsche Innenpolitiker bisher aus durchsichtigen Gründen ablehnen, denn man will nichts an der geringen
Beschwerdemacht der Opfer ändern.
Die Asylpolitik der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge halte ich für rigide, wenn trotz nachweislich erlebter Folter kein ausreichender Schutz der Opfer gewährt wird. Meines Erachtens müsste dies einen generellen Abschiebeschutz begründen. 
Ein weiteres Problem stellen internationale Haftbefehle dar, wenn Folterregime oppositionelle Kräfte kriminalisieren und ihrer habhaft werden wollen. So wurden in Deutschland oder in der Schweiz immer mal wieder Migranten, die politisches Asyl genießen, vorläufig festgenommen. 
Was die Geheimdienste angeht, also Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz, sind weder die Öffentlichkeit noch das Parlament ausreichend informiert.

  • Die Grauzone der Zusammenarbeit zwischen BKA und kommerziellen Sicherheitsdiensten bezeichnen Sie als  „polizeilich-industriellen Komplex“, können Sie dies näher ausführen, wo liegen die Gefahren einer verstärkten Kooperationen mit Organisationen wir Blackwater und Co.?

Das Risiko besteht darin, dass das BKA sich von solchen Organisationen instrumentalisieren lässt.  In erster Linie sind das ja Wirtschaftsunternehmen, die auf Gewinnmaximierung aus sind, und die erreichen sie auch durch die Verwendung von ermittlungsrelevanten Informationen. Natürlich wird sich da nicht sonderlich um die Einhaltung der Menschenrechte oder des Datenschutzes gekümmert. Da etabliert sich ein System, dass immer mehr der rechtsstaatlichen Kontrolle entgleitet und dem mehr Misstrauen als Vertrauen entgegen gebracht werden sollte. In nur ganz wenigen Bereichen ist es überhaupt zu rechtfertigen, hier eine Zusammenarbeit anzustreben. Der Trend geht aber insgesamt zu mehr solcher Kooperationen, weil wir es in der heutigen Zeit und der möglichen Terrorismusgefahr mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff zu tun haben bis hin zu Risikoräumen und -gruppen. Konkrete Fakten werden durch abstrakte Prognosen abgelöst, es scheint der Zeitgeist zu sein, überall Allianzen knüpfen zu müssen. Einerseits kann die Polizei allein das alles nicht mehr bewältigen und braucht Unterstützung, andererseits werden immer mehr Freiheiten eingeschränkt, immer effizientere Überwachung vorgenommen, Bedrohungsszenarien als worst cases an die Wand gemalt … eigentlich ein Armutszeugnis für unsere Demokratie.

  • Als Ausklang stellen Sie einen Entschließungsantrag an den Bundestag, in dem Sie die Kooperation der Sicherheitsbehörden mit der Interpol-Organisation oder mit ausländischen Nachrichtendiensten nur unter Einhaltung der Menschenrechte fordern. Welches Echo gab es von staatlicher Seite auf Ihr Buch?

Weder das BKA noch das Bundesinnenministerium haben bisher reagiert. Andererseits weiß ich als Insider ja, dass solche Prozesse langwierig sind. Meine Erwartung ist, dass dieses Thema nicht unter den Tisch gekehrt wird und sowohl die Politik als auch das BKA die Einsicht und den Willen zeigen, sich von innen heraus zugunsten einer menschenrechtsfreundlichen Linie zu verändern. Es bedarf der Solidarität weiterer demokratisch verfasster Staaten in der EU, die man als Bündnispartner gewinnen muss. Aber auch die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und NGOs spielt dabei eine wichtige Rolle. Ihr Nachhaken und Ermahnen führt langfristig zu steigenden Erfolgen. Von großer Bedeutung sind nach meiner Erfahrung die Medien. Ihr ständiges Insistieren hat schließlich dazu geführt, dass das BKA entschied, seine Nazi-Vergangenheit aufzuklären. Immerhin dauerte es sechs Jahre, seit ich  im Jahr 2001 die Hintergründeveröffentlichte. Sollte in weiteren sechs Jahren weniger als die Hälfte der Interpol-Staaten foltern oder misshandeln, wäre das bereits ein Erfolg. 

Dieter Schenk ist ehemaliger BKA-Kriminaldirektor und Verfasser mehrerer Bücher unter anderem zur Geschichte des BKA. Sein aktuelles Buch „BKA – Polizeihilfe für Folterregime“ ist 2008 im Dietz-Verlag Bonn erschienen.

Die Verwertung von unter Folter erhaltenen Informationen verstößt gegen das absolute Folterverbot. Amnesty International fordert die deutschen Behörden auf, vor der Verwendung von Informationen Dritter Nachforschungen anzustellen, wenn die Quelle der Informationen oder die Umstände der Informationsgewinnung zweifelhaft sind. Sie dürfen Informationen, die möglicherweise durch Folter erlangt wurden, nicht verwenden. Den Informationsaustausch mit Staaten, die systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, darf man nicht unterstützen, da diese Staaten sonst zur Folter ermutigt werden.